Sonntag, 8. September 2013

Fragen und Wege - Teil 2 - Tuuli Tietze


"Situationen in der täglichen Arbeit mit dem Pferd und Antworten verschiedener Ausbilder." 

Frage:

"Der Schlüssel beim Reiten sind die Paraden. Sie leiten Übergänge, Wechsel etc. ein, machen aufmerksam, versammeln ... Ein Wort, das für viele Reiter/innen sehr abstrakt ist. Was ist eine Parade oder besser wie kann ich sie dem Pferd beibringen oder wie setze ich sie um. Was macht mein Körper dabei. Mit welchen Bildern kann ich dabei arbeiten, um sie deutlich, klar und richtig zu geben?"

Antwort:

Den Stromkreis fließen lassen – damit Reiterhilfen ankommen!


Von Dr. Tuuli Tietze




Wenn das Pferd sicher an den Hilfen steht, lässt es die Reiterhilfen durch seinen Körper hindurch fließen. Dann kommen die Reiterhilfen an – immer! Doch das Pferd genau dazu zu bringen, damit tun sich viele Reiter schwer. Oft reicht schon eine kleine Unachtsamkeiten aus – und schon wird aus dem Zirkel ein Ei und das Pferd bricht über die äußere Schulter aus. Vielleicht verweigert es auch den Übergang – und spätestens wenn das im Gelände passiert, kann dieses Nicht-sauber-an-den-Hilfen-stehen sehr unangenehm und mitunter gefährlich werden. Es gilt deshalb unser Pferd so zu schulen, dass wir uns auf die gewünschte Reaktion verlassen können. Und das wirklich immer!



Den Strom fließen zu lassen, dafür bedarf es Feingefühl und eine gute Koordination der Reiterhilfen. Und: Pferd und Reiter müssen nach vorne denken!




Je nachdem, wie weit das Pferd ausgebildet ist, unterscheide ich drei Arten der Verbindung zwischen Pferd und Reiter: 1. Kontakt, 2. Anlehnung, 3. Versammlung.






Kontakt – hier fließt noch kein Strom
Ein junges Pferd in der Phase der Gewöhnung braucht noch nicht am Gebiss zu stehen. Für dieses Pferd besteht der grundlegende Lernerfolg darin, den Kontakt zum Reiter (mit Sitz, Schenkeln und Hand) zu akzeptieren. Mit wachsender Kraft und Koordination mitsamt dem Reitergewicht auf dem Rücken, heißt es, dieses Pferd allmählich in die nächste Lernstufe zu entwickeln.





Anlehnung – den Strom von hinten nach vorne fließen lassen
So gelingt es, das Pferd in Anlehnung und damit an die Hilfen zu bringen:
  1. Impuls nach vorn – Diesen Impuls gibst Du zum einen aus dem Sitz, indem Du Dein Becken kippst und vorschiebst. Als gedankliche Unterstützung hat sich dabei diese Bild bewährt: An Deinen Gesäßhöckern befinden sich zwei Klammern, mit denen Du Dich in Deinen Sattel einklinckst und dann den Sattel mitsamt Deinem Pferd nach vorne schiebst. Der zweite Teil des Vorwärtsimpulses ist die Schenkelhilfe: Umschließe Dein Pferd mit Deinen Unterschenkeln, als ob Du eine große Tube ausdrücken wolltest.
  2. Genick lockern und kontrollieren – Mit Deiner inneren, flexibel vibrierenden Hand stellst Du Dein Pferd leicht nach innen ein, sorgst dafür, dass es im Genick locker lässt, und gibst anschließend wieder nach. Wichtig ist, dass während des Annehmens der Vorwärtsimpuls noch wirkt, damit Du nicht rückwärts einwirkst.
  3. Abfangen – Mit Deiner äußeren Hand fängst Du den Vorwärtsimpuls ab, als ob Du einen Schwamm knetest.

Kurzgefasst: treiben, annehmen, nachgeben.

Wer sorgfältig darauf achtet, sein Pferd stets sauber und konsequent an seine Hilfen zu reiten, wird überall einen zuverlässigen Sportpartner haben!


Diese Hilfen zu geben, treiben, annehmen und nachgeben, dauert etwa so lange, wie Du brauchst, um einmal ein- und auszuatmen. Lass die vortreibende Hilfe dabei unbedingt vorherrschen! So kann Dein Treiben mit Sitz und Schenkeln die Hinterhand Deines Pferdes aktivieren, durch seinen Rücken hindurchfließen, durch sein lockeres Genick bis ins Maul und von dort in Deine Hand zurück. Wenn der Strom wirklich fließt, dehnt sich Dein Pferd ans Gebiss heran – ein Gefühl wie ein Gummiband, das sehr leicht gespannt ist, oder wie ein sanfter, freundlicher Händedruck.


Versammlung – den Strom von hinten nach vorne fließen lassen und die Energie zur Hinterhand zurückleiten!
Ist die Anlehnung sicher und Dein Pferd weiter fortgeschritten, kann die versammelnde Arbeit mit halben Paraden beginnen. Sie baut auf der oben beschriebenen Abfolge an Hilfen auf, mit den Unterschieden, dass ...
... es jetzt ganz genau auf das exakte Timing dieser Hilfen ankommt,
... die vortreibende Energie noch einmal deutlich höher ist,
z. B. im Trab als wenn Du Mitteltram reiten wolltest, und
... Du wesentlich schneller mit Deinen Zügelhilfen agieren musst.


Das Timing: Damit Deine versammelnden halben Paraden ihre volle Wirkung entfalten können, muss Dein Timing stimmen: Setze die halbe Parade an, wenn das Hinterbein Deines Pferdes am Boden ist, also kurz bevor es abfußt. Nur dann kann es mit diesem Hinterbein im nächsten Moment reagieren. Das kannst Du ganz gut erfühlen: Wenn das Hinterbein am Boden ist, ist die Hüfte Deines Pferdes auf dieser Seite höher, Deine eigene Hüfte wird dadurch angehoben. Normalerweise willst Du das innere Hinterbein Deines Pferdes mit den halben Paraden beeinflussen, weil es in der Regel mehr Arbeit zu verrichten hat und deshalb mehr Last aufnehmen soll. Auf gebogenen Linien ist es allerdings ratsam, auch das äußere Hinterbein anzusprechen. Denn dieses Bein hat den weiteren Weg hat. Gleiches gilt für den Galopp, weil das äußere Hinterbein hier das „Startbein“ für den Galopp ist.



Die Energie: Für versammelnde halbe Paraden muss soviel Vorwärtsenergie aufgewandt werden, wie für eine Trab- oder Galoppverstärkung, also ruhig immer ein bisschen mehr man eigentlich denkt.


Die Schnelligkeit: Ein häufiger Fehler, den ich immer wieder beobachte, ist, dass die Reiter leicht in den halben Paraden hängen bleiben. Damit blockieren sie das jeweilige Hinterbein statt es zu aktivieren. Nimm Dir deshalb vor, dreimal in Folge anzunehmen und nachzugeben, während das Hinterbein noch am Boden ist. Dadurch wird der Vorwärtsimpuls nicht nur abgefangen, sondern zur Hinterhand zurückgeleitet. Und das Pferd beugt vermehrt seine Hanken. Und vor allem läufst Du nicht Gefahr, rückwärts zu wirken, sodass Dein Pferd womöglich das Gefühl bekommt, es wäre in einem Schraubstock eingezwängt. Kurzum: das schnelle Nachgeben sorgt für den Effekt der halben Parade!.



So lange dauert der Moment einer effektiven halben Parade: vom belasteten inneren Hinterbein bis kurz vor dem Abfußen. Die innere Hüfte ist höher, für Dich als Reiter ein sicheres Zeichen, den richtigen Moment zu treffen.




Jetzt heißt es: treiben, kurz annehmen, nachgeben, kurz annehmen, nachgeben, kurz annehmen, nachgeben!



Wenn Du dieses Zusammenspiel präzisierst und das sichere An-den-Hilfen-stehen konsequent verfeinerst, wirst Du immer mehr Leichtigkeit in Dein Reiten bringen!








Dein Prüfkriterium für eine gelungene Versammlung: Du kann Dein Pferde in jeder Gangart jederzeit wieder in die Dehnungshaltung entlassen. Es arbeitet durch seinen Rücken und dehnt sich ans Gebiss heran.





Über die Autorin:

Dr. Tuuli Tietze ist Dressur- und Mentaltrainerin. Ihr Erfolgsrezept: SMARTreiten®, ein Trainingsprogramm das Sport- und Freizeitreiter gleichermaßen begeistert. Gerade ist ihr neues Videoseminar „An Deinen Hilfen“ erschienen, in dem sie Übungen zum Nachreiten vorstellt – ein Muss für jeden, der präziser und harmonischer reiten möchte! Infos unter:







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Artikel zum Weiterlesen:

Fragen und Wege - Teil 1
Fragen und Wege - Teil 3
Fragen und Wege - Teil 4


 

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